03 Oktober 2008

Rutschbahn ins Übermorgen

>Gustavs Reise mit dem schrecklichsten aller Ungeheuer, der Zeit in Form eines geflügelten Schweins geht weiter:


«‹Nanu›, rief Gustave, ‹ich kann atmen! Ich dachte, im Weltall gibt es keine Luft.
‹Blödsinn›, antwortete das Schwein. ‹Im Weltall gibt es alles! [...] Tja das ist das Universum [...] aber lass dich nicht zu sehr beeindrucken, mein Junge!›, wiegelte die Zeit wieder ab. ‹So majestätisch es von hier aus auch aussehen mag – das Universum ist nicht komplizierter aufgebaut als...› – das Schwein rang nach einem Vergleich – ‹... sagen wir mal: ein Kaufhaus. [...] Es gibt drei Stockwerke, und in den verschiedenen Etagen gibt es verschiedene Zeit. Im Erdgeschoss gibt es die Gegenwart [...], im Keller gibt es die Vergangenheit, sozusagen das Lager, da wird alles gestapelt, was schon passiert ist. Und im ersten Stock gibt es die Zukunft [...].›»
So reisen die beiden durchs Universum mit dem Ziel der Zuekunft.
«‹Wir sind gleich da! [...] Siehst du den roten Punkt dahinten? Mit der organgefarbenen Aura?›
‹Ja. Ist das ein Stern?›
‹Nein – das ist kein Stern. Das ist ein Galaktischer Gully. [...]›
‹Was ist ein Galaktischer Gully?›
‹Das ist sozusagen das Kanalisationsloch der Milchstrasse. Ein Pasternoster in die Zukunft. Eine Rutschbahn ins Übermorgen. Ich sag ja: Hier oben gibt es alles. Schwarze Löcher. Weisse Löcher. Rote Löcher. Ich habe in der Nähe der Betelgeuze mal ein Loch gesehen, dessen Farbe ich nicht mal benennen konnte.›
Der rote Punkt hatte sich mittlerweile zu einem purpurnen Strudel vergrössert, der die Hälfte von Gustaves Gesichtsfeld einnahm. Er war von einer langen spiralförmigen tiefroten Schliere durchzogen, die glühte wie flüssiges Lavagestein.
‹Das sieht aus wie Reiswein›, sagte Gustave. ‹Nur viel grösser.›
‹Reiswein?›, lachte die Zeit. ‹Das klingt nach einem Getränk, von dem ich jetzt einen Schluck vertragen könnte.›
‹Es sieht sehr schön aus.›
‹Ja›, sagte das Schwein, ‹das haben gefährliche Sachen manchmal so an sich.›»
Aus >Wilde Reise durch die Nacht von Walter Moers.
Bild: Gustave Doré, Ludovico Ariostos Orlando Furioso, Wikimedia

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